Von Lockermaterial bedecktes Gelände, bestehend aus Blöcken und porösen Zwischenräumen wie beispielsweise bei Schutt-/Geröllhalden und fossilen Blockgletschern, kann von einem Luftzirkulationsmechanismus durchströmt werden, der als Kamineffekt bezeichnet wird. Dieser Prozess der bidirektionalen Belüftung wurde ursprünglich in unterirdischen Netzwerken mit mehreren, auf unterschiedlichen Höhen liegenden Eingängen beschrieben (siehe Factsheet Permafrost 5.5). Diese «dunklen Winde» sind im Wesentlichen thermischen Ursprungs, da ihre Richtung und Geschwindigkeit vom Temperaturgradienten zwischen dem Inneren und Äusseren des belüfteten Systems abhängen. Die Temperaturentwicklung kann in zwei unterschiedliche Phasen unterteilt werden: das Winterregime (aufsteigend) und das Sommerregime (absteigend) (Abb. 1).
- Im Winterregime ist die Luft im Inneren der belüfteten Sedimentformation wärmer (und damit leichter) als die Aussenluft. Es stellt sich ein aufsteigender Luftstrom ein (Abb. 2). Infolgedessen wird kalte Luft angesaugt, wobei sich die Zone maximaler Abkühlung etwa 10 m oberhalb des Fusses der Schutt-/Geröllhalde befindet (Abb. 3). Ansauglöcher begünstigen das Eindringen der kalten Aussenluft in das Lockermaterial. Dies kann jedoch auch durch eine dicke Schneedecke hindurch stattfinden! Die Blöcke, aus denen die Schutt-/Geröllhalde besteht, sowie der darunter liegende und angrenzende nicht poröse Untergrund (anstehender Fels, Moräne) speichern die durch den Luftstrom eingebrachte Kälte durch Konduktion (Wärmeleitung). Die Schutt-/Geröllhalde nutzt also alle kalten Perioden des Winters, um sich unter den Gefrierpunkt abzukühlen und ein «Kältereservoir» zu bilden (Abb. 4). Das Ansaugen von kalter, trockener Luft im Winter führt auch zu einer Austrocknung der tiefliegenden Geländebereiche. Das Eis, welches in den Schutt-/Geröllhalden vorkommt, bildet sich daher nicht im Winter, sondern während der Schneeschmelze im Frühjahr.
- Die im Winter gespeicherte Kälte fliesst im Sommer durch die Schwerkraft vorzugsweise zu den tiefsten Stellen der Schutt-/Geröllhalde oder des fossilen Blockgletschers. Es besteht also ein räumlicher Versatz zwischen Bereichen mit der stärksten Winterabkühlung und Bereichen mit der geringsten Sommererwärmung (Abb. 1). Während des Sommers neigt die allgemeine Tendenz der Temperaturentwicklung in einem Windloch zur Stabilität, auch wenn es kleine Schwankungen gibt, die umgekehrt proportional zur Entwicklung der Außenlufttemperatur sind. Mit anderen Worten: Je wärmer es draussen ist, desto kühler ist der Luftstrom, der aus der Schutthalde austritt (Abb. 5). Der Luftstrom bleibt im Sommer gesättigt (100% relative Luftfeuchtigkeit) und wird angefeuchtet, wenn er durch die unterkühlte Schutthalde strömt, die durch das Sickerwasser der Schneeschmelze feucht geworden ist.
- Herbst und Frühling sind Zeiträume, in welchen das Belüftungssystem schrittweise vom Sommer- zum Winterregime (und umgekehrt) übergeht. Die Temperaturschwelle für die Umkehr des Luftstroms hängt von der allgemeinen Temperatur des belüfteten Systems ab (Abb. 6) und liegt im Herbst bei einer höheren Aussenlufttemperatur als im Frühling (die Schutt-/Geröllhalde hat sich im Sommer erwärmt und im Winter abgekühlt). Am Creux-du-Van (Neuenburger Jura) zum Beispiel liegt die Umkehrschwelle im Herbst bei etwa +6°C und im Frühjahr bei +1/+2°C.
Während die Belüftung durch den Kamineffekt der dominierende Prozess zur Erklärung der Unterkühlung von Schutthalden in mittleren und niedrigen Höhenlagen ist, spielen andere Faktoren eine sekundäre Rolle bei der Verstärkung oder Abschwächung dieses Effekts: Sonneneinstrahlungsdefizit, Kühlung aufgrund eines sommerlichen Verdunstungsprozesses durch Absorption latenter Wärme, Begrenzung der Wirkung der Sonneneinstrahlung am Boden durch das Vorhandensein von Vegetation oder eines Moosteppichs, Korngrössenverteilung der Schutthalde, usw.
Fig. 1 – Représentation schématique du processus de circulation d’air par effet de cheminée dans un éboulis de basse altitude en mode hivernal (ventilation ascendante) et estival (décharge gravitationnelle d’air froid). Noter l’asymétrie du processus et la position différenciée des secteurs froids hivernaux et estivaux. Tao = température de l’air extérieur ; Tai = température moyenne de l’éboulis (source : Delaloye 2004).
Abb. 1: Schematische Darstellung des Prozesses der Luftzirkulation durch den Kamineffekt in einer tief gelegenen Schutthalde im Winter (aufsteigender Luftstrom) und im Sommer (gravitative Kaltluftabfuhr). Beachten Sie die Asymmetrie des Prozesses und die unterschiedliche Lage der winterlichen und sommerlichen Kältesektoren. Tao = Aussenlufttemperatur; Tai = Durchschnittstemperatur der Schutthalde (Quelle: Delaloye, 2004).
Fig. 2 – Interpolation par krigeage simple de mesures BTS effectuées le 8 février 2005 dans les éboulis de la combe de Vudèche (Préalpes fribourgeoises). Dans les parties basses des éboulis, une zone sur-refroidie (entre -5 et -10°C) est présente malgré un manteau neigeux épais de 1.5 à 2 mètres. Dans les parties supérieures, les températures sont plus chaudes (voire positives), avec la présence de puits à air chaud (cercle noir et photo). Cette distribution thermique à la surface du sol est caractéristique d’un système de ventilation en régime hivernal (source : Dorthe & Morard, 2007).
Abb. 2: Einfache Kriging-Interpolation von BTS-Messungen, die am 8. Februar 2005 in den Schutthalden der Vudèche (Freiburger Voralpen) durchgeführt wurden. In den unteren Bereichen der Schutthalden ist trotz einer 1.5 bis 2 Meter dicken Schneedecke eine unterkühlte Zone (zwischen -5 und -10°C) vorhanden. In den oberen Bereichen sind die Temperaturen höher (sogar positiv), mit dem Auftreten von Warmluftschächten (schwarzer Kreis und Foto). Diese Wärmeverteilung an der Bodenoberfläche ist typisch für ein belüftetes System im Winterregime.
Fig. 3 – Carte des températures de la surface du sol en hiver (BTS) sur l’éboulis du Creux-du-Van le 28 février 2003 (points gris) et le 10 mars 2010 (points blancs). La zone maximale de refroidissement hivernal s’étend jusqu’au milieu de la pente d’éboulis à l’amont des secteurs à épicéas nains (source : Morard, 2011).
Abb. 3: Karte der Bodenoberflächentemperaturen im Winter (BTS) auf der Schutthalde des Creux-du-Van gemessen am 28. Februar 2003 (schwarze Punkte) und am 10. März 2010 (weisse Punkte). Die Zone der maximalen winterlichen Abkühlung reicht bis zur Mitte des Schutthaldenhangs oberhalb des Bereichs mit Zwergfichtenbewuchs (Quelle: Morard, 2011).
Fig. 4 – Monitoring des résistivités électriques dans l’éboulis froid de Dreveneuse d’en Bas. L’augmentation des résistivités du sous-sol durant l’hiver s’expliquent en grande partie par le refroidissement et l’assèchement de l’éboulis consécutif à l’aspiration d’air extérieur froid. Le gel du terrain est profond et la zone de refroidissement ne se limite pas uniquement à la partie inférieure de la pente d’éboulis (source : Morard 2011).
Abb. 4: Monitoring der elektrischen Widerstände in der unterkühlten Schutthalde von Dreveneuse d’en Bas. Der Anstieg der Widerstandswerte im Untergrund während des Winters lässt sich grösstenteils durch die Abkühlung und Austrocknung der Schutthalde infolge des Ansaugens kalter Aussenluft erklären. Der Bodenfrost ist tiefgreifend und die Abkühlungszone beschränkt sich nicht nur auf den unteren Teil des Schutthaldenhangs (Quelle: Morard, 2011).
Fig. 5 – Evolution de la température de l’air extérieur (courbe grise) et du trou à vent du Creux-du-Van (courbe noire) durant l’hiver (A) et l’été (B). A) en hiver, l’évolution des températures est synchrone : une baisse des températures extérieures se traduit par une baisse de la température du courant d’air aspiré dans l’éboulis. B) en été, l’évolution des températures est inverse : une augmentation des températures extérieures se traduit par une baisse de la température du courant d’air expulsé dans l’éboulis. En effet, comme le contraste thermique augmente entre l’intérieur et l’extérieur de l’éboulis, le courant devient plus fort et expulse plus de « froid » de l’éboulis (source : Morard, 2011).
Abb. 5: Entwicklung der Temperatur der Aussenluft (graue Kurve) und des Windlochs des Creux-du-Van (schwarze Kurve) im Winter (A) und Sommer (B). A) Im Winter verläuft die Temperaturentwicklung synchron: Ein Rückgang der Aussenlufttemperaturen führt zu einem Rückgang der Temperatur des Luftstroms, der in die Schutthalde gesaugt wird. B) Im Sommer ist die Temperaturentwicklung umgekehrt: Ein Anstieg der Aussenlufttemperaturen führt zu einem Rückgang der Temperatur des aus der Schutthalde entweichenden Luftstroms. Da der Temperaturunterschied zwischen der Innen- und Aussenseite der Schutthalde zunimmt, wird der Luftstrom stärker und stösst mehr «Kälte» aus der Schutthalde aus (Quelle: Morard, 2011).
Fig. 6 – Relation entre la température de l’air extérieur (axe X) et la vitesse et direction du courant d’air (axe Y) dans le trou à vent du Gros Chadoua (à gauche) et dans la partie basse de l’éboulis de Dreveneuse d’en Bas (à droite). La direction du courant d’air se renverse lorsque la température de l’air extérieur franchit un seuil thermique propre au site d’étude (source : Morard, 2011).
Abb. 6: Beziehung zwischen der Temperatur der Aussenluft (X-Achse) und der Geschwindigkeit und Richtung des Luftstroms (Y-Achse) im Windloch von Gros Chadoua (links) und im unteren Bereich der Schutthalde von Dreveneuse d’en Bas (rechts). Die Richtung des Luftstroms kehrt sich um, wenn die Aussenlufttemperatur einen für den Untersuchungsstandort spezifischen Temperaturschwellenwert überschreitet (Quelle: Morard, 2011).