Gletschervorfelder (vgl. Factsheet Gletscher 3.2) sind komplexe Systeme, die zahlreiche geomorphologische Formen umfassen ((gestreifte) Grundmoräne, Stauchmoränen, schuttbedecktes Gletschereis, Blockgletscher usw.) und in denen die räumliche Permafrostverteilung sehr heterogen sein kann. Die Combe de Challand (Grand-Combin-Massiv, VS) mit ihren Moränensystemen des Ritord- und Epée-Gletschers ist ein hervorragendes Beispiel dafür (Abb. 1). An der Basis eines temperierten Gletschers gibt es in der Regel keinen Permafrost, wohingegen unter einem kalten Gletscher Permafrost vorkommen kann. Die Existenz von dauerhaft gefrorenen Böden ist sowohl außerhalb als auch innerhalb von Moränensystemen möglich.
In den Alpen stiessen während der Kleinen Eiszeit Talgletscher und zahlreiche kleine Kargletscher in Gebiete vor, die zuvor von Permafrost bedeckt waren. Drei bedeutende Veränderungen traten in Folge dieses Gletschervorstosses auf:
- Erwärmung des Permafrosts: Das Überfliessen von Permafrost durch einen temperierten Gletscher (mit erheblichen Mengen von Schmelzwasser an seiner Basis) führt zur teilweisen oder kompletten Permafrostdegradation. Die Bildung und der Vorstoss von kleinen Gletschern hat daher die räumliche Verteilung des Permafrosts tiefgreifend verändert.
- Verlagerung von gefrorenem Lockermaterial über relativ grosse Entfernungen (Stauchmoränen, glazitektonische Komplexe, Überdeckung und/oder Verlagerung von Blockgletschern) (Abb. 2). Stauchmoränen entsprechen gefrorenen Sedimenten, die durch das Vorstossen eines kalten Gletschers, dessen Basis am Untergrund angefroren bleibt, aufgeschoben und zerdrückt werden (Abb. 3 & 4).
- Ausgleichsbewegungen (Rückwärtskriechen von Stauchmoränen), die als Reaktion darauf erfolgen können. Eine Ausgleichsbewegung betrifft häufig die Innenflanke von seitlichen, am Gegenhang gelegenen Stauchmoränen (Abb. 5).
Seit dem Ende der Kleinen Eiszeit sind die Gletscher sehr stark zurückgegangen und viele kleine Gletscher sind seither ganz verschwunden. Die Permafrostverteilung in den während der Kleinen Eiszeit vergletscherten Gebieten ist auch heute noch großen thermischen und mechanischen Ungleichgewichten (Rückwärtskriechen) unterworfen.
In für dessen Existenz noch günstigen Gebieten (z. B. wo die Sonneneinstrahlung eingeschränkt ist), könnte sich der während der Kleinen Eiszeit gestörte Dauerfrostboden in oberflächennahen Schichten nach und nach wieder bilden: Man spricht von Neo-Permafrost. Umgekehrt können gefrorene Sedimente, die in ein Gebiet mit ungünstigen Bedingungen für deren Existenz (stärkere Sonneneinstrahlung) verlagert wurden, unabhängig von einer Klimaänderung relativ schnell auftauen. Ein solcher Fall wurde im Frontbereich des «Blockgletschers» von Lona (Val d’Anniviers, VS) beobachtet (Abb. 6).
Fig. 1 – Quelques aspects géomorphologiques de la marge proglaciaire coalescente des glaciers du Ritord et de l’Epée (VS) (adapté de Delaloye et al., 2003).
Abb.1: Geomorphologische Aspekte der zusammenhängenden Gletschervorfelder des Ritords- und des Epée-Gletschers (VS) (angepasst nach Delaloye et al., 2003).
Fig. 2 – Photographie prise depuis le sommet des Becs-de-Bosson (Vallon de Réchy, VS) en direction du nord-ouest avec une fine couche de neige surlignant la morphologie du glacier rocheux. Suite à l’avancée glaciaire du PAG, du pergélisol est absent dans la zone des racines morphologiques du glacier rocheux, malgré des conditions topo-climatiques favorables (altitude d’environ 2800 m, orientation nord-ouest). En revanche, les moraines de poussée et la partie médiane et frontale du glacier rocheux sont gelées. La moraine de poussée (P1) est particulièrement mise en évidence et se poursuit loin en aval jusqu’au lobe L1 (2700 m). Cette photo permet ainsi de se représenter l’étendue du glacier qui occupait la partie supérieure du glacier rocheux des Becs de Bosson lors du PAG (source : Perruchoud 2007).
Abb.2: Aufnahme vom Gipfel des Becs-de-Bosson (Vallon de Réchy, VS) in nordwestlicher Richtung. Die dünne Schneedecke hebt die Morphologie des Blockgletschers hervor. Infolge des Gletschervorstosses während der Kleinen Eiszeit fehlt Permafrost im morphologischen Wurzelbereich des Blockgletschers trotz günstiger topoklimatischer Bedingungen (Höhe ca. 2800 m ü. M., nordwestliche Exposition). Im Gegensatz dazu sind die Stauchmoränen und der mittlere und frontale Bereich des Blockgletschers gefroren. Besonders auffällig ist die Stauchmoräne (P1), die sich weit talwärts bis zum Lappen L1 des Blockgletschers (2700 m ü. M.) fortsetzt. Dieses Foto lässt zudem die Gletscherausdehnung in der kleinen Eiszeit erahnen, als der Gletscher den oberen Teil des Becs-de-Bosson Blockgletschers bedeckte (Quelle: Perruchoud 2007).
Fig. 3 – Sous son manteau morainique, le glacier de l’Epée (VS) occupe encore presque complètement la surface qui était la sienne au PAG. On distingue les rides de la moraine de poussée, plus ou moins parallèles à la direction de l’écoulement du glacier de l’Epée (indiquée par la flèche).
Abb.3: Unter seinem dicken Moränenmantel nimmt der Epée Gletscher (VS) noch fast vollständig die in der Kleinen Eiszeit vom Gletscher bedeckte Fläche ein. Man erkennt die Wälle der Stauchmoräne, die mehr oder weniger parallel zur Fliessrichtung des Epée Gletschers (durch den Pfeil markiert) verlaufen.
Fig. 4 – La moraine de poussée de l’Oberferdengletscher à 2’800 mètres d’altitude présente des rides longitudinales typiques pour ce genre de forme (Ferdenpass, Lötschental, Valais).
Abb.4: Die Stauchmoräne des Oberferdengletscher auf 2’800 m ü. M. weist die für diese Form typischen Längswälle auf (Ferdenpass, Lötschental, Wallis).
Fig. 5 – Rétro-fluage d’une moraine de poussée dans la marge proglaciaire du glacier d’Aget (Val de Bagnes, VS).
Abb.5: Rückwärtskriechen einer Stauchmoräne im Gletschervorfeld des Aget Gletschers (Val de Bagnes, VS).
Fig. 6 – Complexe glacier – glacier rocheux de Lona/Sasseneire (Val d’Anniviers, VS). Durant le PAG, le glacier aurait expulsé la partie terminale du glacier rocheux plusieurs centaines (?) de mètres à l’aval, dans des lieux moins souvent situés dans l’ombre du Sasseneire (3254 m). Le lac contribue aussi probablement au réchauffement du terrain. Actuellement, du pergélisol ne semble présent que dans la moraine de poussée et la partie frontale du glacier rocheux.
Abb.6: Gletscher-Blockgletscher-Komplex von Lona/Sasseneire (Val d’Anniviers, VS). ). In der Kleinen Eiszeit hat der Gletscher den Frontbereich des Blockgletschers mehrere hundert (?) Meter talwärts gestossen, hin zu Stellen, die weniger häufig im Schatten des Sasseneire (3254 m ü. M.) liegen. Der See trägt wahrscheinlich auch zur Erwärmung des Geländes bei. Permafrost scheint derzeit nur in der Stauchmoräne und im Frontbereich des Blockgletschers vorhanden zu sein.