3.5. Permafrostdegradation in (steilen) Felswänden

Die Analyse historischer Inventare und neuerer Daten, die insbesondere in den Alpen auf partizipative Weise gesammelt wurden, scheint die Hypothese zu stützen, dass ein Zusammenhang zwischen der Permafrostdegradation und der zunehmenden Instabilität von Felswänden im Hochgebirge besteht.

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Die Gründe für Instabilitäten von Felswänden im Gebirge und für die Auslösung von Sturzprozessen sind komplex und meist multifaktoriell (siehe Factsheet Permafrost 3.3). Vor dem Hintergrund des aktuellen Klimawandels stellen sich Wissenschaftler die Frage, ob die Erwärmung und die Permafrostdegradation stärker zur morphologischen Entwicklung von Felswänden und insbesondere zur Zunahme von Felssturzereignissen in grosser Höhe beitragen.

Um diese Frage zu beantworten, können Inventare von Felsstürzen analysiert werden. Zwischen 1900 und 2007 wurden in den Alpen etwa 35 Ereignisse erfasst, bei denen grosse Felsmengen (von 10’000 bis über 1’000’000 m3) mobilisiert wurden: die Bergstürze/Felsstürze an der Brenva im November 1920 und im Januar 1997, am Fletschhorn im März 1901, am Monte Rosa 1980, an den Dents du Midi im Oktober 2006 oder am Piz Kesch (Graubünden) im Oktober 2014. Für einige symbolträchtige Orte des Alpentourismus, wie das Chamonix-Tal, konnten die Inventare durch Foto-Vergleichsstudien vervollständigt werden. Diese Analysen historischer Daten, die in den Schweizer und französischen Alpen durchgeführt wurden, zeigen insbesondere einen leichten Anstieg der Anzahl der Felsstürze zwischen 1930 und 1950 sowie ab den 1980er- und 1990er-Jahren (Abb. 1).

Bei der Analyse dieser historischen Daten für die Alpen seit 1900 ist jedoch eine gewisse Vorsicht geboten, da Ereignisse mit kleinen Volumina (< 10.000 m3) – weniger spektakulär – in der Regel erst seit den 2000er Jahren erfasst werden. Um die Inventare zu vervollständigen, entwickelten Forschungsinstitute einen partizipativen Ansatz, der insbesondere Bergführer, Hüttenwarte, lokale Behörden und Alpinisten miteinbezieht. Dieses Prinzip der Datenerhebung wird seit 2005 im Mont-Blanc-Massiv angewendet, für das eine Smartphone-Applikation (ALP-RISK, heute OBS-ALP) entwickelt wurde, um Beobachtungen von Instabilitäten zu übermitteln (Abb. 2). Seit 2007 bieten auch das WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos und das PERMOS-Netzwerk einen Online-Fragebogen zur Erfassung von Felswandinstabilitäten auf schweizerischem Gebiet an (Abb. 3). Die Einrichtung dieser Beobachtungsnetzwerke hatte zur Folge, dass die Anzahl der in den Datenbanken erfassten Ereignisse im letzten Jahrzehnt gestiegen ist, insbesondere für Ereignisse mit kleinen Volumina (< 10’000 m3) (Abb. 1B).

Zusätzlich zu den Inventaren haben Wissenschaftler seit Anfang der 2000er Jahre mehrere Felswände mit Temperatursensoren ausgestattet, die in etwa 10 cm Tiefe (Abb. 4) oder in Bohrlöchern von mehreren Dutzend Metern Tiefe angebracht wurden, um die Temperaturentwicklung im Fels zu beobachten. In den Nordwänden des Jungfraujochs (Berner Alpen) und der Aiguille du Midi (Chamonix, Mont-Blanc-Massiv) wurde in 10 bis 20 Metern Tiefe seit 2002 ein Anstieg der Permafrosttemperaturen von etwa 0,5°C beobachtet (Abb. 5). Einige Standorte, darunter die Aiguille du Midi, werden auch häufig durch wiederholte terrestrische Laserscans kartiert, um digitale 3D-Geländemodelle zu erstellen (Abb. 6). Damit können morphologische Veränderungen der Felswände sehr genau verfolgt werden.

Die Analysen all dieser Daten scheinen die Hypothese eines Zusammenhangs zwischen der (oberflächennahen) Permafrostdegradation und der zunehmenden Instabilität von Felswänden im Hochgebirge zu stützen. Sie heben insbesondere hervor:

  • Häufiges Auftreten von Eis und/oder Wasser in den Abbruchnischen von Sturzereignissen (Abb. 7).
  • Zwischen 2’500 und 3’500 m ü. M., also in Höhenlagen, in denen das Vorkommen von Permafrost wahrscheinlich ist, kam es zu zahlreichen Felsstürzen (Abb. 8). Je nach Exposition scheint dieser Höhenbereich durch temperierten Permafrost gekennzeichnet zu sein.

Ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Anzahl von Felsstürzen mit kleinem Volumen und der Lufttemperatur in den letzten 20 Jahren. Ein Anstieg der Anzahl von Steinschlägen und kleineren Felsstürzen wurde beispielsweise während der Sommermonate (Abb. 9) und insbesondere während der Hitzesommer 2003 und 2015 beobachtet (siehe Factsheet Permafrost 3.6).

Bei grösseren Felsstürzen (> 100’000 m3) besteht kein Zusammenhang zwischen der Jahreszeit und dem Zeitpunkt des Abbruchs. Diese grossen Felsstürze können das ganze Jahr über auftreten (Abb. 9). Dies lässt sich einerseits durch die von der Sommerhitze benötigte Zeit zur Ausbreitung in die Tiefe und andererseits durch die Berücksichtigung von längerfristig wirkenden Instabilitätsfaktoren erklären (siehe Factsheet Permafrost 3.3).