Mehrere hundert Meter unterhalb der Untergrenze des diskontinuierlichen Permafrosts (die etwa auf 2500 m ü. M. liegt, siehe Factsheet Permafrost 1.6) finden sich in zahlreichen porösen Sedimentformationen (unterkühlte Schutthalden, fossile Blockgletscher, Felssturzablagerungen) (Abb. 1 & 2) sowie in unterirdischen Hohlräumen (Höhlengletscher oder Eishöhlen, siehe Factsheet Permafrost 5.5) gefrorene Böden und mehrjähriges oder saisonales Eis.
Die Existenz kühler Bedingungen am Fuss von Schutt-/Geröllhalden in niedrigeren Höhenlagen ist seit mehreren Jahrhunderten bekannt. Horace Bénédicte De Saussure berichtete 1796 auf seiner Reise durch die Alpen, dass «ein Hirte beobachtete, dass seine Schafe während der grossen Hitze alle ihre Nasen auf den Boden legten, vorzugsweise an bestimmten Stellen, (…) am Fusse eines Berges, der ganz mit kantigem Geröll bedeckt war, und von dem ein kühler Wind ausging». Zahlreiche historische Dokumente, die auf wissenschaftliche Reisen von Horace Bénédicte De Saussure (1796), Ferdinand Keller (1839) oder Edwin Swift Balch (1900) im 18. und 19. Jahrhundert zurückgehen, berichten bereits von unterkühlten Schutthalden in geringer Höhe, auch wenn die Autoren sie nicht in diesem Sinne beschrieben. Zu dieser Zeit waren sie hauptsächlich als «Windlöcher» bekannt.
Interessanterweise führten die Menschen diese kalten Bedingungen schon zu dieser Zeit auf die Existenz eines Luftstroms zurück und verstanden bereits einige grundlegende Eigenschaften des Abkühlungsprozesses von Schutthalden (siehe Factsheet Permafrost 5.2). Dieser natürliche Frischluftstrom wurde früher für den Bau von Milchkellern (Milchhüttchen) genutzt, in denen «die Milch drei Wochen lang unverdorben blieb, das Fleisch einen Monat lang haltbar war und die Kirschen von einem Jahr zum anderen aufbewahrt werden konnten» (De Saussure 1796). Diese Hütten, von denen einige auch zur Konservierung von Schnee genutzt wurden, waren in der Zentral- und Ostschweiz sowie im Tessin weit verbreitet (Abb. 3). Auch heute noch wird ein am Fusse einer unterkühlten Schutthalde im Rif Bruyant (französische Alpen) errichteter Keller für die Reifung von Käse genutzt (Abb. 4).
Die Unterkühlung von talwärts gelegenen Bereichen von Schutt-/Geröllhalden in mittleren und niedrigen Höhenlagen ist ein weit verbreitetes Phänomen (Abb. 5). Basierend auf dem Auftreten klassischer Hinweise für eine Unterkühlung (siehe Factsheet Permafrost 5.3) konnten in Europa anhand wissenschaftlicher Literatur mehr als 140 unterkühlte Schutthalden identifiziert werden. Hinweise können sein: Ortsnamen, die an das Vorhandensein von Eis in geringer Höhe erinnern, (schriftliche) Zeugnisse von Eis und kühlen Luftströmen im Sommer, Auftreten von Zwergbaumwäldern oder spezialisierten Ökosystemen oder, bei älteren Texten, die Erwähnung von Milchkellern. Die betroffenen Standorte befinden sich meist im unteren Bereich von Schutt-/Geröllhalden (manchmal auch von Felssturzablagerungen oder fossilen Blockgletschern) und sind zwischen einigen hundert Quadratmetern und einigen Hektaren gross.
Fig. 1 – La combe de Dreveneuse (Chablais valaisan) et ses imposants voiles d’éboulis.
Abb.1: Die Talmulde von Dreveneuse (Walliser Chablais) mit ihren imposanten Schutthalden.
Fig. 2 – Le glacier rocheux fossile du Gros Chadoua (Préalpes fribourgeoises) s’est développé en contrebas d’un large voile d’éboulis. Des moraines tardiglaciaires se rencontrent également sur le site. Une zone d’arbres nains, des cristaux de glace et de forts courants d’air froids ont été découverts sur le complexe éboulis – glacier rocheux fossile.
Abb.2: Der fossile Blockgletscher von Gros Chadoua Freiburger Voralpen) entstand unterhalb einer breiten Schutthalde. Spätglaziale Moränen sind ebenfalls an diesem Standort zu finden. Im Bereich der Schutthalde –und des fossilen Blockgletschers wurden ein Gebiet mit Zwergbäumen, Eiskristalle und starke Kaltluftströme ausgemacht.
Fig. 3 – Caves à lait de Seelisberg (Lucerne) décrite par Ferdinand Keller (1839). Aujourd’hui les maisons en bois ont disparu, mais des murets de pierre formant un carré de 2 mètres de côté sont toujours visibles dans les parties basses de la pente d’éboulis. Il est possible que les caves à lait aient été construites à cet endroit.
Abb.3: Milchkeller von Seelisberg (Uri), beschrieben von Ferdinand Keller (1839). Heute sind die Holzhäuser verschwunden, aber niedrige Steinmauern, die ein Quadrat mit einer Seitenlänge von 2 Metern bilden, sind in den unteren Teilen des Schutthaldenhangs noch sichtbar. Es ist möglich, dass die Milchkeller einst an dieser Stelle gebaut wurden.
Fig. 4 – Construite à la base d’un éboulis, la cave à fromage du Rif Bruyant est toujours utilisée pour l’affinage des fromages en raison des températures froides qui s’y maintiennent durant toute la saison estivale.
Abb.4: Der Käsekeller von Rif Bruyant wurde am Fuss einer Schutthalde errichtet und wird aufgrund der kalten Temperaturen, die dort während des gesamten Sommers herrschen, noch immer zur Käsereifung genutzt.
Fig. 5 – Répartition des éboulis froids décrits dans la littérature en fonction de l’altitude et de l’orientation. Les cercles rouges indiquent la position des sites d’étude de Suisse occidentale présentés dans la thèse de Morard (2011) et dans les travaux de Delaloye (2004), Lambiel (2006) et Dorthe & Morard (2007). La zone rose claire au centre du quadrant indique l’extension du pergélisol discontinue selon le modèle Haute-Alpes calcaires (Imhof 1996), la zone violette les limites définies par le modèle Entremont (Delaloye & Morand 1997). Tous les sites sont (largement) localisés en dessous de la limite régionale du pergélisol discontinu.
Abb.5: Verteilung von in der Literatur beschriebenen unterkühlten Schutthalden nach Höhenlage und Exposition. Die roten Kreise zeigen die Lage der Untersuchungsgebiete in der Westschweiz, die in der Dissertation von Morard (2011) und in den Arbeiten von Delaloye (2004), Lambiel (2006) und Dorthe & Morard (2007) vorgestellt wurden. Der hellrosa Bereich in der Mitte des Quadranten zeigt die Verbreitung von diskontinuierlichem Permafrost gemäss dem Modell Haute-Alpes calcaires (Imhof 1996), der violette Bereich die gemäss dem Modell Entremont (Delaloye & Morand 1997) definierten Permafrostuntergrenzen. Alle Standorte liegen (weit) unterhalb der regionalen Untergrenze des diskontinuierlichen Permafrosts.