5.1. Unterkühlte Schutthalden (und andere Lockermaterialansammlungen) in niedrigen Höhenlagen

In mittleren und niedrigen Höhenlagen, unterhalb von 2000 m ü. M., kommen unterkühlte Schutthalden vor. Sie zeichnen sich durch “mysteriöse” Kaltluftzirkulationen und eine abnormale Abkühlung des Bodens aus. Vor dem 20. Jahrhundert wurden diese besonderen Orte unter anderem als "natürliche Kühlschränke" genutzt.

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Mehrere hundert Meter unterhalb der Untergrenze des diskontinuierlichen Permafrosts (die etwa auf 2500 m ü. M. liegt, siehe Factsheet Permafrost 1.6) finden sich in zahlreichen porösen Sedimentformationen (unterkühlte Schutthalden, fossile Blockgletscher, Felssturzablagerungen) (Abb. 1 & 2) sowie in unterirdischen Hohlräumen (Höhlengletscher oder Eishöhlen, siehe Factsheet Permafrost 5.5) gefrorene Böden und mehrjähriges oder saisonales Eis.

Die Existenz kühler Bedingungen am Fuss von Schutt-/Geröllhalden in niedrigeren Höhenlagen ist seit mehreren Jahrhunderten bekannt. Horace Bénédicte De Saussure berichtete 1796 auf seiner Reise durch die Alpen, dass «ein Hirte beobachtete, dass seine Schafe während der grossen Hitze alle ihre Nasen auf den Boden legten, vorzugsweise an bestimmten Stellen, (…) am Fusse eines Berges, der ganz mit kantigem Geröll bedeckt war, und von dem ein kühler Wind ausging». Zahlreiche historische Dokumente, die auf wissenschaftliche Reisen von Horace Bénédicte De Saussure (1796), Ferdinand Keller (1839) oder Edwin Swift Balch (1900) im 18. und 19. Jahrhundert zurückgehen, berichten bereits von unterkühlten Schutthalden in geringer Höhe, auch wenn die Autoren sie nicht in diesem Sinne beschrieben.  Zu dieser Zeit waren sie hauptsächlich als «Windlöcher» bekannt.

Interessanterweise führten die Menschen diese kalten Bedingungen schon zu dieser Zeit auf die Existenz eines Luftstroms zurück und verstanden bereits einige grundlegende Eigenschaften des Abkühlungsprozesses von Schutthalden (siehe Factsheet Permafrost 5.2). Dieser natürliche Frischluftstrom wurde früher für den Bau von Milchkellern (Milchhüttchen) genutzt, in denen «die Milch drei Wochen lang unverdorben blieb, das Fleisch einen Monat lang haltbar war und die Kirschen von einem Jahr zum anderen aufbewahrt werden konnten» (De Saussure 1796). Diese Hütten, von denen einige auch zur Konservierung von Schnee genutzt wurden, waren in der Zentral- und Ostschweiz sowie im Tessin weit verbreitet (Abb. 3). Auch heute noch wird ein am Fusse einer unterkühlten Schutthalde im Rif Bruyant (französische Alpen) errichteter Keller für die Reifung von Käse genutzt (Abb. 4).

Die Unterkühlung von talwärts gelegenen Bereichen von Schutt-/Geröllhalden in mittleren und niedrigen Höhenlagen ist ein weit verbreitetes Phänomen (Abb. 5). Basierend auf dem Auftreten klassischer Hinweise für eine Unterkühlung (siehe Factsheet Permafrost 5.3) konnten in Europa anhand wissenschaftlicher Literatur mehr als 140 unterkühlte Schutthalden identifiziert werden. Hinweise können sein: Ortsnamen, die an das Vorhandensein von Eis in geringer Höhe erinnern, (schriftliche) Zeugnisse von Eis und kühlen Luftströmen im Sommer, Auftreten von Zwergbaumwäldern oder spezialisierten Ökosystemen oder, bei älteren Texten, die Erwähnung von Milchkellern. Die betroffenen Standorte befinden sich meist im unteren Bereich von Schutt-/Geröllhalden (manchmal auch von Felssturzablagerungen oder fossilen Blockgletschern) und sind zwischen einigen hundert Quadratmetern und einigen Hektaren gross.