3.6. Sommerliche Hitzeperioden und oberflächliche Felsstürze

Seit einigen Jahren kommt es vermehrt zu sommerlichen Hitzeperioden. Seit 2003 ist in Hitzesommern ein deutlicher Anstieg der Steinschläge und kleineren Felsstürze zu beobachten.

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Laut dem Bundesnetzwerk für Klimadienstleistungen (National Centre for Climate Services – NCCS) erwärmen sich die Alpenregionen während der Sommermonate stärker als der Rest der Schweiz. In den letzten Jahren ist die Häufung heißer Sommer in den Bergen zur Norm geworden: Die mittleren Sommertemperaturen der Quartalsperiode (bestehend aus den Monaten Juni, Juli und August) waren in den Jahren 2015, 2017 und 2019 mehr als 3°C wärmer als die klimatologische Norm 1961-1990 (Abb. 1). Nur der historische Hitzesommer 2003 fiel noch deutlich wärmer aus (4,5°C wärmer als die Norm).

Die sommerlichen Temperaturen neigen auch dazu, bis in den September hinein anzudauern. In den Bergen liegt die 0°C-Isotherme daher häufig für längere Zeit über 4000 m ü. M. Beispielsweise lagen die Temperaturen auf dem Jungfraujoch (Berner Alpen) auf 3’580 m ü. M. vom 1. bis 14. August 2003 (auch nachts!) durchwegs im positiven Bereich.

Die Verlängerung der Hitzeperioden im Sommer hat einen direkten Einfluss auf die Stabilität der Felswände im Hochgebirge. In der Tat wurde in den Hitzesommern 2003 und 2015 innerhalb des Höhenbereichs des temperierten Permafrosts (Gesteinstemperaturen zwischen -2 und 0°C) ein signifikanter Anstieg von Steinschlägen und kleineren Felsstürzen beobachtet. Im Mont-Blanc-Massiv war die Steinschlaghäufigkeit während der Hitzesommer 2003 und 2015 im Durchschnitt  zwei- bis zehnmal höher als normal (im Vergleich zu 2007 bis 2014). Während dieser Hitzesommer wurden von den Teilnehmern des partizipativen Felssturz-Inventarprojekts im Mont-Blanc-Massivs (siehe Factsheet Permafrost 3.5) mehr als 160 Felsstürze mit einem Volumen von mehr als 100 m3 gemeldet (Abb. 2). In der Ostwand des Monte Rosa (VS) – der höchsten Felswand der Alpen mit einem Höhenunterschied von über 2’000 Metern (Wandfuss auf 2’200 m ü. M., Gipfel auf 4’500 m ü. M.) – konnte im Jahr 2003 fast täglich Steinschlag beobachtet werden.

So konnten in den Jahren 2003 und 2015 zahlreiche weitere Ereignisse beobachtet werden (Abb. 3): in der Eiger-Nordwand, in der Matterhorn-Südflanke, an der Dent Blanche, am Mönch-Nordwestgrat, am Piz Bernina, am Obergabelhorn etc. Das Ereignis, über das im Jahr 2003 am meisten berichtet wurde, war zweifellos der Felssturz am Hörnli-Grat des Matterhorns (VS) (3’400 m ü. M.) (Abb. 4). Am 15. Juli 2003 lösten sich auf einer Höhe von rund 3’500 m ü. M. rund 1’000 m3 Gestein von der Ostwand des Matterhorns und versperrten den Bergsteigern den Zugang. Im selben Sommer 2003 kam es zu ähnlichen Ereignissen entlang des Südwest- (3’800 m ü. M.) und Nordwestgrats (3’650 m ü. M.) des Matterhorns. Auch in den Hitzesommern 2018 und 2019 sorgten mehrere Ereignisse für viel Aufsehen: ein Felssturz an der Meije, wiederkehrende Steinschläge am Goûter auf der Mont-Blanc-Route, Sturzereignisse am Matterhorn, am Eperon Walker in den Grandes Jorasses und am Mont Maudit.

Die Abbruchkanten dieser Ereignisse befanden sich in der Regel in geringer Tiefe innerhalb der Auftauschicht des Permafrosts. Diese oberflächlichen Felsstürze traten wahrscheinlich aufgrund einer Zunahme der Tiefe der Auftauschicht (Abb. 5), aufgrund der hohen Temperatur des Eises (nahe 0 °C) und/oder aufgrund des Vorhandenseins von Schmelzwasser oder gewittrigen Niederschlägen auf. Die vermutlich wichtige Rolle der Permafrostdegradation für diese Ereignisse wird auch durch das Vorhandensein von Eis oder Wasser in den Abbruchkanten sowie durch die sich stark unterscheidenden Anrisshöhen der Felsstürze zwischen Nord- und Südexpositionen verdeutlicht.

Auch wenn Steinschlag und Felsstürze im Hochgebirge natürliche Phänomene sind, scheint es heute, dass die durch den Klimawandel verursachte Permafrostdegradation zum dominierenden Instabilitätsfaktor für die Felswände geworden ist.