Unter gravitativen Massenbewegungen versteht man den durch die Schwerkraft induzierten, hangabwärts gerichteten Materialtransport. In Felswänden führt die Erosion hauptsächlich zu Materialverlagerungen in Form von Stürzen: Steinschlag, Felssturz/Bergsturz oder Fels-/Eislawinen. Diese Arten von gravitativen Massenbewegungen treten in der Regel plötzlich auf. Das Material aus der Abbruchkante wird abrupt talwärts transportiert und bildet eine Ablagerung, deren Morphologie oft chaotisch ist. Die drei verschiedenen Arten von gravitativen Massenbewegungen durch Sturz werden nach dem Volumen des mobilisierten Materials, der Häufigkeit ihres Auftretens und den Ursachen, die zum Abbruch führen, unterschieden.
- Steinschlag: Die Felswände werden nach und nach durch Netze von Rissen fragmentiert, die sich infolge zahlreicher Frost-Tau-Wechsel erweitern (Frostsprengung, siehe Factsheet Permafrost 2.3). Ab einem bestimmten Stadium wird ein Felsstück zu instabil und löst sich aus dem Gesteinsverband. Es stürzt dann den Hang hinunter und es kommt zu Steinschlag. Regelmässige Steinschläge führen zur Bildung von Schuttablagerungen am Hangfuss, welche die Form von klar begrenzten Kegeln (bei linearem Schutteintrag aus Steinschlagrinne) oder Schutthalden (wenn das Material grossflächig und ohne besondere Form über einen ganzen Hangfuss abgelagert wird) annehmen können. Im Allgemeinen weisen Schuttkegel oder Schutthalden ein regelmässiges Gefälle mit einer Neigung von etwa 35° auf (Abb. 1).
- Fels- und Bergstürze: Ereignisse, die sich innerhalb von Sekunden bis Minuten abspielen. Vor dem Ereignis können Warnzeichen sichtbar werden (z. B. Öffnen von Rissen, vermehrter Steinschlag usw.). In beiden Fällen handelt es sich um den Sturz einer Felsmasse mit grossem Volumen, das bis zu mehreren Millionen m³ Material umfassen kann. Bei einem Volumen von 100 bis mehreren 100’000 m3 wird der Begriff Felssturz verwendet (Abb. 2); darüber hinaus (ab einer Million m³) spricht man von einem Bergsturz (Abb. 3).
- Fels-/Eislawine (rock/ice avalanche). Wenn ein ganzer Teil einer Felswand abbricht, kann es zu einer Felslawine kommen. Die stürzende Felsmasse kann zusätzlich Eis enthalten das beim Anriss (z. B. im Falle von Gletscherteilen, welche die losbrechende Felsmasse bedecken) oder während des Sturzes (z. B. bei Sturz auf einen tiefer gelegenen Gletscher) mitgerissen wird. Dadurch vergrössert sich das Volumen der Lawine, die dann aus Fels und Eis besteht. Die enorme Energie, die beim Aufprall und durch die Reibung entwickelt wird, kann zu einer teilweisen Verflüssigung des Eises führen und so die Lawine in einen Schlammstrom verwandeln, der selbst bei geringen Neigungen extrem hohe Geschwindigkeiten (>300 km/h) erreichen kann. Für Fels-/Eislawinen relevante Prozesse sind noch nicht vollständig verstanden. Seit dem Ende der Kleinen Eiszeit wurden in der Schweiz und weltweit mehrere solcher Ereignisse dokumentiert (siehe Factsheet Gletscher 4.6), insbesondere: Dents-du-Midi (Wallis) 1835, Fletschhorn (Wallis) 1903, Brenva (Mont-Blanc) 1920 und 1997, Huascaran (Peru) 1962 und 1970, Mt. Cook (Neuseeland) 1991, Kolka-Karmadon (Kaukasus, Ossetien) 2002 und zuletzt 2015 am Langtang (Nepal) und 2017 am Piz Cengalo (Bondo, Graubünden).
Diese Arten von gravitativen Massenbewegungen können in allen Höhenlagen auftreten und sind nicht unbedingt mit dem Vorhandensein von Permafrost verbunden.
Fig. 1 – Au centre de l’image, cône d’éboulis du Toûno à la sortie d’un couloir (St-Luc, Valais). Des voiles d’éboulis sont aussi visibles à gauche de la photo.
Abb. 1: Bildmitte: Schuttkegel unterhalb einer Steinschlagrinne des Toûno (St-Luc, Wallis). Auf der linken Seite des Bildes: Schutthalden.
Fig. 2 – Eboulement de 2000 m³ de roche depuis le rocher du Mel de la Niva à 2’700 mètres d’altitude (Evolène, Valais) le 19 octobre 2015. Le rocher était sous surveillance de l’Etat du Valais depuis un premier éboulement partiel ayant eu lieu en août 2013 (source : Etat du Valais, vidéo complète).
Abb. 2: Felssturz (2000 m³ Gesteinsmaterial) vom Mel de la Niva Felsen (Evolène, Wallis) auf 2700 Metern Höhe am 19. Oktober 2015. Der Felsen stand seit einem ersten Ereignis im August 2013 unter Beobachtung durch den Kanton Wallis (Quelle: Kanton Wallis, vollständiges Video).
Fig. 3 – Ecroulement du 30 octobre 2006 dans le versant ouest de la Haute-Cime (Dents-du-Midi, VS). La zone de rupture se situe à une altitude comprise entre 2800 et 3000 mètres. L’énorme masse de roche s’est presque entièrement déposée dans une cuvette naturelle au pied des parois.
Abb. 3: Bergsturz vom 30. Oktober 2006 am Westhang der Haute-Cime (Dents-du-Midi, VS). Die Abbruchzone befindet sich auf einer Höhe zwischen 2800 und 3000 Metern. Die enorme Gesteinsmasse wurde fast vollständig in einer natürlichen Mulde am Fuss der Felswand abgelagert.