Um die Sedimentvorkommen und -transfers entlang eines Hanges zu bestimmen, insbesondere im Rahmen der Erstellung von Gefahrenkarten oder Schutzbauten gegen Murgänge, verwenden Geomorpholog:innen einen ganzheitlichen Ansatz, der darauf abzielt, die Funktionsweise der Sedimentkaskaden des Hanges zu verstehen (Abb. 1 & 2). Das Prinzip besteht darin, den Hang als «kaskadenartiges System von miteinander durch Rohre und Abflüsse verbundenen Kästchen zu verstehen, deren Durchmesser je nach Kapazität und Zufluss der verschiedenen Zweige des hydrografischen oder gravitativen Netzes variieren kann» (Theler 2010). Die Bestimmung von Sedimentbilanzen auf der Skala eines Tals, eines Hangs oder eines Wildbachsystems ermöglicht somit die Vorhersage von Veränderungen der Erosions- und Sedimentationsraten und erlaubt es, Ablagerungsgebiete auszuscheiden sowie die Dauer der Sediment(zwischen-)speicherung und die Art und Weise der Remobilisierung von Sedimenten abzuschätzen. Die Konnektivität der Sedimentquellen mit talwärts gelegenen Bereichen ist von besonderer Bedeutung für die Bewertung der Sedimentmengen, die beispielsweise während eines Murgangereignisses potenziell mobilisiert werden können (Abb. 3).
In den Alpen sind aktive Blockgletscher ein integraler Bestandteil der Sedimentkaskade. Sie fungieren sowohl als Ort der End- oder Zwischenlagerung von Material als auch als Transferelemente, die Gesteinsmaterial mit einer Geschwindigkeit von einigen Zentimetern bis zu mehreren Metern pro Jahr talwärts transportieren. Ein Blockgletscher, dessen Front auf einer flachen Ebene oder einem Hang liegt, der nicht mit einem Gerinne verbunden ist, ist nicht Bestandteil der Sedimentkaskade. Wenn seine Front jedoch direkt mit einem Gerinne verbunden ist oder sich an einem Hangabbruch befindet, kann das Material, aus dem er besteht, potenziell durch gravitative Prozesse (z. B. Steinschlag, Felssturz) oder fluviatile Prozesse (z. B. Murgänge) talwärts bewegt werden (Abb. 4 & 5).
Die Analyse von Webcam-Bildern zusammen mit wiederholten Laserscans (LIDAR) ermöglichten ein besseres Verständnis der Erosionsprozesse, die an steilen Fronten von Blockgletschern ablaufen, welche direkt mit einem Gerinne verbunden sind. Für den Fall eines vorstossenden Blockgletschers inklusive Wasserzufuhr wurden vier Erosionsprozesse identifiziert: Abrutschen von Gesteinsschutt, Steinschlag, intensiver Abfluss von Wasser aus dem Blockgletscher, Oberflächenabfluss. Während der Schneeschmelze sind Erosionsereignisse besonders häufig (Abb. 6 & 7). Während der Sommermonate nimmt die Häufigkeit von Erosionsereignissen stark ab, mit Ausnahme von Tagen mit starken Regenfällen. Im Winter gibt es an der Front des Blockgletschers fast keine Erosion.
Fig. 1 – Cascade sédimentaire simplifiée du versant de Tsarmine (Val d’Arolla, Valais). La dynamique sédimentaire (et hydrologique) de ce versant est contrôlée par des processus glaciaires, périglaciaires et gravitaires (source : C. Lambiel, Université de Lausanne, tiré de Theler, 2010).
Abb. 1: Vereinfachte Sedimentkaskade am Hang von Tsarmine (Val d’Arolla, Wallis). Die sedimentäre (und hydrologische) Dynamik dieses Hanges wird durch glaziale, periglaziale und gravitative Prozesse gesteuert (Quelle: C. Lambiel, Universität Lausanne, aus Theler, 2010).
Fig. 2 – Relations entre les milieux de sédimentation montagneux et les processus de transferts sédimentaires potentiels.
Abb. 2: Beziehungen zwischen Sedimentationsmilieus im Gebirge und potenziellen Sedimentverlagerungsprozessen.
Fig. 3 – Le glacier couvert du Bonnard situé à l’ouest du Diablon des Dames (Val d’Anniviers) surplombe le village de Zinal. Connecté à un torrent, il représente une source d’eau et de matériaux rocheux pouvant conduire au déclenchement de laves torrentielles. Des digues de protection ont été en conséquence érigées dans le village (photo. M. Brunatti).
Abb. 3: Der stark schuttbedeckte Bonnard-Gletscher westlich des Diablon des Dames (Val d’Anniviers) überragt das Dorf Zinal. Da er mit einem Wildbach verbunden ist, stellt er eine Quelle für Wasser und Gesteinsmaterial dar, was zur Auslösung von Murgängen führen kann. Infolgedessen wurden im Dorf Schutzdämme errichtet (Foto: M. Brunatti).
Fig. 4 – Deux scénarios qui montrent schématiquement la connectivité entre un glacier rocheux actif et le terrain situé à l’aval. A. Pas de connectivité : les sédiments sont stockés au pied du front et seront recouverts par le glacier rocheux lors de son avancée ; B. Connectivité efficace : Les sédiments quittent le système du glacier rocheux et peuvent se propager plus à l’aval de la cascade sédimentaire (source : Kummert et. al, 2017).
Abb. 4: Zwei Szenarien, welche die Konnektivität zwischen einem aktiven Blockgletscher und dem darunter liegenden Gelände schematisch darstellen. A. Keine Konnektivität: Die Sedimente werden am Fuss der Front abgelagert und beim Vorstossen des Blockgletschers bedeckt; B. Effiziente Konnektivität: Die Sedimente verlassen das Blockgletschersystem und können über die Sedimentkaskade weiter talwärts bewegt werden (Quelle: Kummert et al., 2017).
Fig. 5 – Vue du versant de Tsarmine dans le Val d’Arolla (VS). Le front raide et très instable du glacier rocheux de Tsarmine se situe juste à l’amont d’un couloir escarpé, devenant potentiellement une source d’instabilités de versant.
Abb. 5: Blick auf den Hang von Tsarmine im Val d’Arolla (VS). Die steile und sehr instabile Front des Tsarmine-Blockgletschers liegt direkt oberhalb eines steilen Gerinnes und wird somit potenziell zu einer Quelle von Hanginstabilitäten.
Fig. 6 – Résumé des processus d’érosion en fonction de leur cause, type, moment et intensité pendant les trois périodes principales (couleurs et cercle). Les graphiques de droite montrent la chronologie et l’intensité des différents évènements identifiés sur les glaciers rocheux actifs de Fig. 5 – Vue du versant de Tsarmine dans le Val d’Arolla (VS). Le front raide et très instable du glacier rocheux de Tsarmine se situe juste à l’amont d’un couloir escarpé, devenant potentiellement une source d’instabilités de versant. (source : Kummert et al. 2018).
Abb. 6: Zusammenfassung der Erosionsprozesse während der drei Hauptperioden (Winter, Schneeschmelze, Sommer) nach Ursache, Art, Zeitpunkt und Intensität. Die Grafiken auf der rechten Seite zeigen den zeitlichen Ablauf und die Intensität der verschiedenen Erosionsereignisse für drei aktive Blockgletscher im Wallis (Quelle: Kummert et al., 2018).
Fig. 7 – Représentations schématiques d’un front de glacier rocheux subissant différentes périodes d’activité d’érosion au cours d’une année (1-3). En hiver (1), le glacier rocheux avance mais il n’y a pas d’érosion et la déclivité du front s’accentue. Pendant la période de fonte (2a et 2b), l’angle de pente abrupte associé à un apport d’eau provenant de la fonte des neiges, du dégel de la couche active (2a) et du dégel du pergélisol pendant le réajustement de la profondeur du toit pergélisol (2b) renforce l’activité d’érosion, ce qui entraîne l’ajustement de la pente frontale. Pendant l’été, l’érosion est moins intense et s’équilibre en fonction de l’avancée du glacier rocheux (source : Kummert et al. 2017).
Abb. 7: Schematische Darstellungen einer Blockgletscherfront, die im Laufe eines Jahres (1-3) verschiedenen Perioden unterschiedlicher Erosionsaktivität ausgesetzt ist. Im Winter (1) bewegt sich der Blockgletscher talwärts, es findet jedoch keine Erosion statt und die Front wird steiler. Während der Schmelzperiode (2a und 2b) verstärkt der steile Neigungswinkel der Front zusammen mit der Wasserzufuhr aus der Schneeschmelze, dem Auftauen der Auftauschicht (2a) und dem Auftauen des Permafrosts während der Anpassung der Tiefe der Permafrostobergrenze (2b) die Erosionsaktivität, was zu einer Anpassung der Frontneigung führt. Während des Sommers (3) ist die Erosion weniger stark und gleicht das Vorstossen des Blockgletschers aus (Quelle: Kummert et al., 2017).