1.4 Formen der Eisdeformation an der Gletscheroberfläche

Gletscher bestehen aus Eis, das ein plastisches Material ist, aber sie liegen meist auf einem felsigen Untergrund auf, der sich nicht verformt. Durch die Reibung zwischen Eis und Fels entstehen Brüche oder "Gletscherspalten". Diese Spalten, die bis zu 50 m tief sein können, stellen eine Gefahr für Bergsteiger dar, die sich auf der Oberfläche von Gletschern bewegen.

Eis ist kein starrer Körper; es verformt sich unter seinem eigenen Gewicht. Diese Verformung findet durch zwei Prozesse statt: dem Kriechen, bei dem sich die Eiskristalle selbst verformen und sich relativ zueinander bewegen, und dem Brechen, das stattfindet, wenn das Kriechen nicht schnell genug ist, um auf die ausgeübten Kräfte zu reagieren. Es kommt zu einem spröden Bruch und zur Bildung von Gletscherspalten.

Gletscherspalten sind also Öffnungen, die sich an der Gletscheroberfläche durch die Ausdehnung des Eises bilden (Abb. 1). Ihre Richtung verläuft senkrecht zur Hauptrichtung der Spannung. Sie kommen selten isoliert vor, sondern gruppieren sich zu Spaltensystemen ähnlichen Ursprungs. Man kann unterscheiden zwischen Randspalten (Abb. 2), die bergwärts in einem Winkel von etwa 45° zum Gletscherrand verlaufen und auf Geschwindigkeitsunterschiede zwischen Gletschermitte und -rand zurückzuführen sind, Querspalten, die mit topografischen Diskontinuitäten am Gletscherbett zusammenhängen (Abb. 3), und Längsspalten, die mehr oder weniger parallel zur Fliessrichtung verlaufen und sich in Bereichen mit kompressivem Fliessen bilden, was eine seitliche Ausdehnung des Eises zur Folge hat. An der Oberfläche von Gebirgsgletschern schliessen sich die Spalten, wenn das Eis in ein Gebiet mit kompressivem Fliessen gelangt.

Bei Kar- und Talgletschern ist der Bergschrund eine besondere Spalte, die sich an der Grenze zwischen Firn und Fels bildet, oder genauer gesagt an der Grenze zwischen Firn (der sich nicht bewegt) und Gletscher (der fliesst) (Abb. 4). Man kann den Bergschrund als die erste dynamische Spalte eines Gletschers betrachten. Séracs sind durch Gletscherspalten isolierte Eisstücke/-türme (Abb. 5). Sie bilden sich bei grossen Gefällsbrüchen und folglich starker Beschleunigung der Fliessgeschwindigkeit (Abb. 6).

Gletscherspalten sind zwischen einigen Zentimetern und mehreren Metern breit und können eine maximale Tiefe von 50 Metern erreichen. In grösserer Tiefe führt die druckbedingte Verformung des Eises dazu, dass sich die Spalte schliesst. Spalten an der Gletscheroberfläche sind dann sichtbar, wenn das Eis freiliegt, z. B. im Ablationsgebiet im Spätsommer. Im Akkumulationsgebiet oder nach Schneefällen sind die Spalten manchmal durch mehr oder weniger stabile Schneebrücken völlig unsichtbar. Sie stellen dann eine echte Gefahr für Bergsteiger dar, die sich auf den Gletscher wagen.