1.3 Morphologie der Gletscher

Die Gletscher der Erde sind sind bezüglich unterschiedlicher Charakteristika so vielfältig, dass für deren Beschreibung verschiedene Klassifizierungsarten verwendet werden. Die klassische Typologie basiert auf ihrer Form (Eiskappe, Talgletscher, Kargletscher usw.), aber sie können auch nach ihrer Dynamik klassifiziert werden (Hängegletscher, regenerierter Gletscher, stark schuttbedeckter Gletscher usw.).

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Eine klassische Typologie richtet sich nach der Form der Gletscher. Sie basiert auf der Interaktion mit der Topografie, gemäss derer sich zwei grosse Klassen unterscheiden lassen:

  • Gletscher, die nicht durch die Topografie eingegrenzt/beeinflusst sind, fliessen in der Regel radial in mehrere verschiedenen Richtungen. Je nach Grösse unterscheidet man zwischen Inlandeis (Grösse über 50.000 km², Eisschilde in der Antarktis und Grönland) und Eiskappen, die kleiner als 50.000 km² sind (z. B. der Vatnajökull in Island). Auch der Juragletscher während der letzten Eiszeiten gehörte zur Kategorie der Eiskappen.. (kleinere) Eiskappen gibt es auch im Gebirge, typischerweise in Form von Gipfelvergletscherung (z. B. beim Mont Collon, VS) (Abb. 1).
  • Gletscher, die durch die Topografie eingegrenzt/beeinflusst sind, fliessen in ein Tal. Talgletscher sind typischerweise langgezogen und fliessen in schmalen Gebirgstälern hangabwärts;  ein grosser Teil der heutigen Alpengletscher gehört zu diesem Typ (Abb. 2). Piedmontgletscher breiten sich tatzenförmig in einer Ebene aus, nachdem sie aus einem schmaleren Tal in eine breitere Ebene münden. Beispiele dafür sind derzeit in den arktischen Regionen zu finden. Der Rheingletscher während des Maximums der letzten Eiszeit gehörte zu diesem Typ, ebenso wie der Rhonegletscher (VS) während der kleinen Eiszeit (Abb. 3). Bei den durch die Topografie beeinflussten Gletschern unterscheidet man zusätzlich zwischen kleinen Kargletschern, die auf den obersten Teil der Täler beschränkt sind,  Eisstromnetzen, die entstehen, wenn Talgletscher eines Gebirgslandes so gross werden, dass sie über Pässe hinweg und damit in mehrere Täler fliessen, und Plateaugletschern, die nur in eine Richtung fliessen, aber nicht durch die Flanken eines Tals eingegrenzt sind (Abb. 4). Plateaugletscher sind typischerweise mittelgrosse Gletscher und morphologisch zwischen Eiskappen und Talgletschern anzusiedeln.

Es wurde auch eine Nomenklatur zur Klassifizierung von Gletschern entwickelt, die auf der Dynamik der Gletscher basiert:

  • Hängegletscher klammern sich an eine Felswand (Abb. 5). Sie enden mit einer steilen Front, von der Eisstücke abbrechen, die sich am Fuss der Wand ansammeln und manchmal einen regenerierten Gletscher bilden (Abb. 5). Der Giétro-Gletscher schuf in der Kleinen Eiszeit einen regenerierten Gletscher an der Stelle des heutigen Mauvoisin-Staudamms. Am 16. Juni 1818 brach das Eis und der hinter diesem natürlichen Eisdamm entstandene See entleerte sich und verursachte eine Hochwasserkatastrophe, die das gesamte Val de Bagnes (VS) verwüstete (Factsheet Gletscher 6.2). Gletscher, die in einem Gewässer enden (calving glaciers), schwimmen und Eisberge brechen an deren Front ab (Abb. 6). Sie sind typisch für die hohen Breitengrade, kommen aber auch in den Alpen vor, wie im Fall des Rhonegletschers (VS).
  • Die Alpen sind derzeit reich an kleinen (einige hundert Quadratmeter grossen) Eisflächen, die sich praktisch nicht bewegen. Bei diesen Gletschern mit geringer Dynamik können wir zwischen permanentem Firn und sehr kleinen Gletschern (wenn es sich wirklich um Eis handelt) unterscheiden. Ein Stück Gletscherzunge, das nicht mehr dynamisch mit dem sich zurückziehenden Gletscher verbunden ist resp. nicht mehr von diesem genährt wird, wird als Toteis bezeichnet (Abb. 7). Je nach Grad der Oberflächenmoränenbedeckung unterscheidet man zwischen teilweise schuttbedeckten Gletschern (von einer grossen Oberflächenmoränenschicht bedeckt, die das Eis manchmal vollständig verdeckt) (Abb. 8) und vollständig schuttbedeckten Gletschern, bei denen das Eis überhaupt nicht mehr sichtbar ist. In den Alpen sind noch einige vollständig schuttbedeckte Gletscher in Permafrostgebieten vorhanden,  auch wenn sie ihr Akkumulationsgebiet verloren haben. Sie können mit blossem Auge fast nicht als solche erkannt werden, aber ihr Eis bleibt durch geophysikalische Messungen nachweisbar.
  • Die letzte Kategorie wird durch Gletscher mit katastrophalen Hochwassern (surging glaciers) repräsentiert. Dabei handelt es sich um Gletscher, deren Dynamik stark zwischen Perioden geringer Aktivität (mit einer Dauer von einigen Jahrzehnten bis zu über 500 Jahren) und Phasen mit sehr starker Aktivität (1 bis 10 Jahre) schwankt, in denen der Gletscher mit hoher Geschwindigkeit vorstösst (Fact Sheet Glaciers 6.1).