Die Massenbilanz eines Gletschers ist die Differenz zwischen der Schneeakkumulation und den Verlusten durch Ablation (Schmelze) über die Zeit (z. B. über ein hydrologisches Jahr, vgl. Abb. 2), ausgedrückt als wasseräquivalentes Volumen. Das hydrologische Jahr entspricht für die Schweiz dem Zeitraum zwischen dem 1. Oktober und dem 30. September des Folgejahres. Wenn die Akkumulation grösser ist als die Ablation, ist die Massenbilanz positiv. Wenn hingegen die Akkumulation (vor allem im Winter) die Verluste durch Ablation (vor allem im Sommer) nicht ausgleichen kann, ist die Massenbilanz negativ. Die Folge einer negativen Massenbilanz ist der Rückzug des Gletschers (Abb. 4). Per Definition ist die Massenbilanz im Akkumulationsgebiet positiv, auf der Gleichgewichtslinie null und im Ablationsgebiet negativ. Die Gleichgewichtslinie trennt das Akkumulationsgebiet vom Ablationsgebiet und entspricht am Ende des hydrologischen Jahres grob der Linie des Dauerschnees (klimatische Schneegrenze) und der 0°C-Isotherme. Aus diesem Grund wird die Gleichgewichtslinie auch als Firnlinie bezeichnet (Abb. 5).
Bei einem Gletscher, der sich im Gleichgewicht mit den klimatischen Bedingungen befindet, entspricht die Fläche des Akkumulationsgebiets in etwa der doppelten Fläche des Ablationsgebiets. Die Lage der Gleichgewichtslinie ist je nach Klima unterschiedlich. Je höher die geographische Breite, desto tiefer sinkt die Gleichgewichtslinie. In Grönland liegt sie bei 600 m ü. M. und in der Antarktis auf dem Meeresspiegel, da es dort kein echtes Ablationsgebiet mehr gibt. In den Schweizer Alpen liegt sie durchschnittlich bei 2750 m ü. M. Innerhalb eines Gebirges variiert ihre Lage je nach Kontinentalität: In feuchteren Gebieten liegt sie tiefer (z. B. im Mont-Blanc-Massiv im Durchschnitt bei 2400 m ü. M.) als in trockeneren Gebieten (z. B. in der Gegend von Zermatt, wo die Gleichgewichtslinie bei etwa 3050 m ü. M. liegt).
Obwohl die Massenbilanz von den lokalen topografischen Bedingungen, der Exposition, der Fläche und der Form des Gletschers abhängt, ist sie ein ausgezeichneter Klimaindikator. Sie widerspiegelt sowohl geografische Unterschiede in den klimatischen Verhältnissen als auch zeitliche Klimaveränderungen (Abb. 6).
Fig. 1 – Le glacier comme système hydroclimatique.
Abb. 1: Der Gletscher als hydroklimatisches System.
Fig. 2 – Bilan de masse du glacier du Basòdino (Val Maggia, TI).
Abb. 2: Massenbilanz des Basòdinogletschers (Val Maggia, TI).
Fig. 3 – Le glacier du Basòdino en 1995 (Val Maggia, TI).
Abb. 3: Der Basòdinogletscher (Val Maggia, TI) 1995.
Fig. 4 – Variations de la longueur de la langue du glacier du Basòdino (Val Maggia, TI). Notez le parallélisme entre les variations de longueur et le bilan de masse (cf. fig. 2).
Abb. 4: Längenänderungen (bezüglich der Position der Gletscherzunge) des Basòdinogletschers (Val Maggia, TI). Bemerkenswert ist ebenfalls die Beziehung zwischen der (Variabilität der) Massenbilanz (vgl. Abb. 2) und der Längenänderungen.
Fig. 5 – Zone d’accumulation, ligne d’équilibre et zone d’ablation d’un glacier alpin (Glacier du Géant et Glacier de Trélaporte, Chamonix, France). La ligne d’équilibre correspond grosso modo à la ligne des neiges pérennes à la fin de l’année hydrologique, c’est-à-dire à la limite entre la neige (couleur claire) et la glace apparente, plus sombre.
Abb. 5: Akkumulationsgebiet, Gleichgewichtslinie und Ablationsgebiet eines alpinen Gletschers (Glacier du Géant und Glacier de Trélaporte, Chamonix, Frankreich). Die Gleichgewichtslinie entspricht am Ende des hydrologischen Jahres ca. die Firnlinie, d.h. der Grenze zwischen Schnee (helle Farbe) und Eis (dunklere Farbe).
Fig. 6 – Bilan de masse cumulé de trois glaciers des Alpes suisses. Notez le changement depuis le début des années 1980. En particulier, le glacier de Gries (VS) qui a une langue assez plane située bien en dessous de la ligne d’équilibre actuelle, a un bilan de masse très négatif..
Abb. 6: Kumulierte Massenbilanz dreier Gletscher der Schweiz. Bemerkenswert ist die Entwicklung hinzu negativeren Massenbilanzen seit den 1980er Jahren. Insbesondere weist der Griesgletscher, mit einer eher flachen Zunge weit unterhalb der aktuellen Gleichgewichtslinie, eine sehr negative Massenbilanz auf.