Geomorphologie der kalten Bergregionen

1.1 Was ist die Geomorphologie?

Die Geomorphologie ist eine wissenschaftliche Disziplin, deren Forschungsgegenstand die Gesamtheit der Reliefs der Erde ist und die Untersuchung und das Verständnis ihrer vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklung.

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Vom griechischen Wort gê, Erde, morphê, Form, und logos, Rede, kann die Geomorphologie als die Wissenschaft definiert werden, die die Formen des Reliefs an der Erdoberfläche beschreibt und erklärt. In diesem Sinne ist die Geomorphologie als Disziplin an der Schnittstelle zwischen Geografie und Geowissenschaften angesiedelt, und spielt eine wichtige Rolle sowohl bei Verfahren der Raum- und Landschaftsplanung als auch bei der Prävention von Naturgefahren oder der Erforschung natürlicher Ressourcen.

Das Hauptziel der geomorphologischen Analyse besteht darin, zu verstehen, wie die Reliefformen entstanden sind und wie sie sich im Laufe der Zeit verändert haben. Mit anderen Worten: Es geht darum zu erkennen, welche Prozesse für die Reliefbildung oder Morphogenese verantwortlich sind.

Der erste Schritt jeder geomorphologischen Analyse besteht in der Beschreibung der Reliefformen unter Verwendung eines geeigneten Vokabulars. Bei der Analyse der Entstehung der Formen werden in der Regel drei Hauptgruppen von Faktoren berücksichtigt (Abb. 1): endogene, exogene und anthropogene Faktoren. Erstere beziehen sich auf die Kenntnis der geologischen Struktur, d.h. sowohl der lithologischen Komponenten (Gesteinsarten) als auch der tektonischen Deformationen, die diese Gesteine erfahren haben (Metamorphismus, Faltung usw.). Je nach struktureller Gegebenheiten reagieren die Gesteine unterschiedlich auf Erosionsprozesse. So reagieren beispielsweise Schiefer sehr empfindlich auf rückschreitende Erosion durch Wasser, während Sandstein als poröses Gestein die Infiltration von Wasser begünstigt. Kalksteine wiederum sind anfällig für Lösungsvorgänge und, wenn sie zerklüftet sind, für Frostsprengung (frz. gélifraction), etc. Diese Unterschiede in der Erosionsanfälligkeit der verschiedenen Lithologien und geologischen Strukturen werden unter dem Begriff differentielle Erosion zusammengefasst und sind in verschiedenen Massstäben zu beobachten (Abb. 2-6). Die Erosion hängt jedoch nicht nur von geologischen, sondern auch von exogenen Faktoren ab: der Schwerkraft und dem Klima. Schliesslich spielt auch der Mensch eine erosive Rolle, sowohl bei der Zerstörung natürlicher Formen als auch bei der Schaffung neuer Formen (z. B. Aufschüttungen).

Die Kombination dieser drei Gruppen von Faktoren ermöglicht es, die Mechanismen zu verstehen, die der Entstehung und Veränderung des Reliefs zugrunde liegen. Die blosse Beobachtung reicht jedoch nicht aus, um die Intensität und den Rhythmus der Erosionsprozesse zu verstehen. Sie muss durch verschiedene (geophysikalische, klimatologische, hydrologische) Messmethoden (siehe Methoden der Geomorphologie 1.2) und Modellierungen ergänzt werden, die unter dem Begriff dynamische Geomorphologie zusammengefasst werden.

Der Inhalt dieser Website konzentriert sich einerseits auf geomorphologische Prozesse im Gebirge und andererseits auf die regionale Geomorphologie der Schweiz. Die wichtigsten Prozesse der Reliefgestaltung im Gebirge werden in vier thematischen Hauptkapiteln behandelt: Glazialmorphologie, Geomorphologie des Periglazials, gravitative Massenbewegungen und Wildbachdynamik. Sie ermöglichen einen Überblick über die wichtigsten Reliefformen der Hoch- und Mittelgebirge der Schweiz. Jedes Kapitel wird in der Regel mit regionalen Beispielen illustriert.